"Sauer macht lustig". Diese überlieferte Volksweisheit mag auf den Genuss von Cocktails zutreffen, nicht jedoch auf den Säurewert des Körpers. Im Gegenteil: ist der Körper nicht (mehr) in der Lage, einen Überschuss an Säure zu neutralisieren, können Befindlichkeitsstörungen oder gar Krankheiten die Folge sein.
Mit einer chronischen Übersäuerung ist nicht gemeint, dass der Patient unter "saurem Aufstoßen" oder Sodbrennen leidet. Dies ist medizinisch eine Hyperazidität. Wenn vom "Zivilisationsproblem der Übersäuerung" gesprochen wird, ist die Azidose gemeint: Eine Übersäuerung des Blutes. Bewegungsmangel, Stress und falsche Ernährung tragen dazu bei, dass der Organismus Säuren anhäuft, u.a. Salze der Milchsäure, die Laktate. Der Volksmund spricht dann von "Schlacken", die wiederum andere Erkrankungen begünstigen können.
Symptome einer chronischen Übersäuerung
Typischeweise leiden übersäuerte Patienten unter folgenden Beschwerden:
- Antriebsschwäche
- rasches Ermüden
- Appetitlosigkeit
- Übelkeit
- Immunschwäche.
Gesamter Organismus leidet
Jedes Organ drückt dies mit "seiner Sprache" aus:
- die Knochen entkalken, was besonders im Alter die Bruchhäufigkeit steigern kann
- das Herz kann mit Rhythmusstörungen reagieren, schlägt weniger kräftig und wirft weniger Blut aus, dadurch wird der gesamte Organismus weniger mit Sauerstoff und anderen Nährstoffen versorgt
- die Muskulatur kann sich abbauen
- im Blut kann der Kaliumgehalt ansteigen, was wiederum die Herzaktion beeinträchtigen kann
- an den Zähnen kommt es leichter zu Karies
Nicht selten sind die Werbeaussagen von sog. Basenpräparaten geprägt von Werbelyrik statt von nachgewiesenen Fakten. Trotz zahlreicher Tabellen existieren keine Lebensmittel, die einen basischen pH-Wert haben! Durch die Zufuhr bestimmter Lebensmittel ist es lediglich möglich, den Körper anzuregen, vermehrt Basen zu produzieren.
Basen, auch als Laugen bezeichnet, sind in der Lage, Säuren zu neutralisieren. Je mehr freie Wasserstoffionen in einer Lösung sind, desto saurer ist sie. Dies zeigt der pH-Wert an. Übersetzt bedeutet pH "Potentio Hydrogenii" = die Stärke des Wasserstoffs. Die pH-Skala reicht von 1 bis 14. 1 ist stark sauer, 7 neutral und 14 basisch.
Entsäuerung
Leider ist es auch nicht möglich, sich einfach mit Hilfe einer Tabelle zu entsäuern. Ganz entscheidend für den sauren oder basischen Charakter von Nahrung ist der Organismus, der sie aufnimmt und was er damit macht. Selbst wenn ein Nahrungsmittel basisch reagieren würde, hätte der Körper hiervon nur einen geringen Nutzen. Der Magen ist gefüllt mit Salzsäure, die sofort einen basischen pH-Wert sauer macht. Dennoch kann mit Hilfe einer ausgewogenen Ernährung versucht werden, das Problem der Übersäuerung zu reduzieren. Der Mechanismus einer latenten und vor allem einer chronischen Übersäuerung ist jedoch viel zu komplex, als dass er sich nur über eine Ernährungsumstellung beseitigen ließe. Dazu bedarf es stärkerer Eingriffe.
Eine Übersäuerung ist nur durch die Neutralisation überschüssiger Säuren im Blut zu kompensieren. Mit einfachen Streifen- oder Stäbchentests soll es möglich sein, im Urin den Säurewert des Körpers zu überprüfen. Leider ist dies nicht so problemlos machbar. Die Tests messen lediglich den pH-Wert des Urins, nicht jedoch den des Körpers. Der pH-Wert im Magen, im Urin und in der Zellflüssigkeit ist absolut verschieden. Nahrung hat einen wesentlichen Einfluss auf den Urin-pH-Wert, nicht jedoch auf den des Körpers.
Natriumhydrogencarbonat wenig hilfreich
Eine harmlose und aus Küche und Medizin bekannte Base ist Natriumhydrogencarbonat. Zahlreiche Produkte aus Drogerie und Reformhaus enthalten diese Substanz und versprechen Linderung. Es klingt ja auch einfach: Base neutralisiert Säure. Leider lösen sich fast alle Produkte im Magen auf. Die Folge ist eine Aufspaltung des Natriumhydrogencarbonats in Natriumchlorid (Kochsalz) und Kohlendioxid. Dieses Gas führt aber dazu, dass der Magen überbläht werden kann. Die sog. kompensatorische Hypersekretion führt dazu, dass der Magen nun noch mehr Magensäure bildet. Außerdem muss das entstehende Gas den Körper ja wieder verlassen. Die Folge sind Aufstoßen und/oder Blähungen.
Eine basische Substanz, die sich bereits im Magen auflöst, hat weitere zahlreiche Nachteile. Der Magen ist der sauerste Ort im Körper, und daran sollte man auch nichts ändern. Die Magensäure hilft nicht nur bei der Verdauung von Speisen. Sie tötet auch pathogene Keime ab. Außerdem ist sie an der Verwertung von lebensnotwendigem Vitamin B12 beteiligt. Würde man die Magensäure neutralisieren, könnte der Körper das Vitamin nicht aus der Nahrung isolieren und verarbeiten.
Nur solche Substanzen sind sinnvoll, die sich statt im Magen erst im Dünndarm auflösen. Sie enthalten Natriumbicarbonat in einer speziellen galenischen Zubereitung. Aus diesen magensaftresistenten und dünndarmlöslichen Zubereitungen ergeben sich folgende Vorteile:
- Keine Bildung von Kohlendioxid
- Der Magen wird nicht überbläht und zur erneuten Bildung von Säure angeregt
- Es tritt kein Aufstoßen auf
- Keine Neutralisation der Magensäure
- Keine Beeinträchtigung der Verdauung
- Bakterizide Wirkung der Magensäure bleibt erhalten
Außerdem führt die Freisetzung von basischen Substanzen wie Natriumbicarbonat dazu, dass fettspaltende Enzyme im Darm effizienter arbeiten.
Basentheorie nobelpreiswürdig
Der Nobelpreisträger Prof. Otto Heinrich Warburg fand heraus, dass auch Krebs eine "Säurekrankheit" ist. Dazu zählen unter anderem auch Darm- und Nierenerkrankungen. Die Gesunderhaltung von Darm und Nieren ist ebenso lebenswichtig wie eine basenbildende Kost, die wir überwiegend aus Pflanzennahrung erhalten. Systemerkrankungen bedingen häufig eine "Säurestarre". Chemo- /Strahlen- und Antihormontherapie können die Fehlregulation verstärken. Im Jahr 1931 erhielt Warburg für die Entdeckung der Zytochromoxidase und die Beschreibung der Atmungskette und der Zellatmung den Nobelpreis. Eigentlich meinte Warburg, der Krebsentstehung auf der Spur zu sein. Krebszellen umgehen die Zellatmung auch dann, wenn ihnen genügend Sauerstoff zur Verfügung steht und setzen vermehrt Milchsäure frei.
Basen: Haare und Zähne fallen Säure zum Opfer
Im wahrsten Sinne des Wortes haben Schwangere mit Stoffwechselstörungen zu kämpfen. Der weibliche Organismus scheidet normalerweise mit dem Blut regelmäßig einen wesentlichen Teil der ständig anfallenden Stoffwechselsäuren aus. Da diese Ausscheidungsfunktion nun über viele Monate fehlt, ist die Kapazität zur Säureausscheidung vermindert. Teilweise hat der Körper Alkali-Depots angelegt, die jetzt mobilisiert werden. Dadurch werden jedoch anderen Organen Nährstoffe entzogen. Die Gebärmutterschleimhaut kann als Zwischenlager für Säuren genutzt werden. Ist die Kapazität erschöpft, ist der Organismus gezwungen sich beispielsweise in den Mineraldepots der Kopfhaut zu bedienen. Die Folge kann Haarausfall sein.
Am Säureüberschuss leiden auch Gewebe, die Sehnen und Muskeln, Knochen und Zähne. Nicht umsonst heißt das Sprichwort "Jedes Kind kostet die Mutter einen Zahn". Gerade in der Schwangerschaft ist jedoch eine Ernährungsumstellung nicht einfach. Das Genuss- und Essverhalten der Schwangeren ändert sich. Der schon legendäre Heißhunger auf saure Gurken ist nur ein Beispiel dafür.
Säureausscheidung sinkt durch Wechseljahre
Die Möglichkeit der verstärkten Säureausscheidung durch die Monatsblutung entfällt in den Wechseljahren. Auch hier wird über vermehrten Haarausfall berichtet. Frauen im Klimakterium sind besonders stark von Osteoporose bedroht. Die Elimination überschüssiger Säuren verbessert auch die Verfügbarkeit von Calcium und die Mineralisierung des Knochens. Vor einer unkritischen Anwendung von basischen Substanzen ist abzuraten. Nicht jede Übersäuerung ist auch behandlungsbedürftig. Ist der Organismus massiv und chronisch übersäuert, hat er dafür einen Grund, diesen gilt es herauszufinden. Außerdem kann eine kurzfristige Übersäuerung des Blutes sogar sinnvoll sein.
Bei Stressreaktionen wird der Organismus damit leistungsfähiger. Leidet ein Betroffener jedoch unter Beschwerden, ist die Azidose chronisch und stark ausgeprägt und ist die Ursache eine falsche Lebensführung, dann ist die Korrektur des Säurewertes mit einem geeigneten Mittel ein sinnvoller und ganzheitlicher Ansatz. Besonders für Allergiker, Menschen mit Osteoporose, bestimmten Nierenerkrankungen oder nachlassender Nierenfunktion im Alter ist er sinnvoll, manchmal sogar lebensnotwendig geeignete magensaftresistente Basen-Präparate einzunehmen
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