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Potenzmittel: Mehr als die blaue Pille
Potenzmittel: Mehr als die blaue Pille WilmaVdZ / shutterstock.com

Potenzmittel: Mehr als die blaue Pille

Wenige Dinge wirken sich so negativ auf das männliche Selbstbewusstsein aus wie eine Erektionsstörung. Kurz vor dem Höhepunkt der Lust ist auf einmal Schluss – ein Erlebnis, was sicherlich jeder Mann im Laufe seines Lebens das ein oder andere Mal erlebt. Häuft sich diese Symptomatik, liegt eine Erektionsstörung vor. Von diesem in der medizinischen Fachwelt als „Erektile Dysfunktion“ bezeichneten Phänomen ist etwa jeder fünfte Mann in der Bundesrepublik Deutschland mehr oder weniger betroffen. Unstrittig ist, dass die Wahrscheinlichkeit für ein plötzliches Nachlassen der Manneskraft mit dem Alter steigt. Aber auch junge Männer sind betroffen; hier sind es oft die Psyche und eine übertriebene Erwartungshaltung (meistens vom Mann selber, weniger von der Frau!), die eine effektive Erektion verhindern. So ziemlich jeder kennt mittlerweile die klassischen Potenzmittel, wie etwa Sildenafil oder Tadalafil. Vor dem Hintergrund hoher Preise und einer bundesweiten Verschreibungspflicht suchen viele Männer zunehmend nach Alternativen. Und tatsächlich: Es muss schon lange nicht mehr nur die blaue Pille sein.

Gründe für Erektionsstörungen sind mannigfaltig

70 % der Erektionsstörungen haben eine greifbare, organische Ursache. Die anderen 30 % der Betroffenen könnten eine ausreichende Steifigkeit des Penis erreichen, wären sie gelassener. Aber auch psychisch angespannten Liebhabern können Potenzmittel weiterhelfen. Liegt eine ausreichende sexuelle Erregung vor, kommt es mit Hilfe entsprechender Präparate wesentlich schneller zu einer effektiven Erektion. Dies ist für den von Nervosität geplagten Zeitgenossen ein großes Erfolgserlebnis und die Angst vor dem Versagen schwindet immer mehr. Liegt erwiesenermaßen eine Grunderkrankung als Ursache der Potenzstörung vor, muss diese unbedingt zuerst abgeklärt werden. Häufig ist eine ausbleibende oder zu schwache Erektion ein Zeichen für eine Arteriosklerose mit drohendem Herzinfarkt oder Schlaganfall. Aber auch manche Medikamente lassen den Penis schlapp machen: Betablocker senken nicht nur den Blutdruck, durch ihre Wirkung am vegetativen Nervensystem können sie auch die Erektion nachhaltig schwächen. Bei einigen Psychopharmaka sieht es nicht besser aus.

Gift für eine gesunde Erektionsfähigkeit ist starkes Übergewicht, insbesondere wenn (wie bei Männern typisch) ein großer Anteil an Bauchfett besteht. Alles in allem sollten Betroffene eins wissen. Eine Erektionsstörung ist kein Schicksal, dem man(n) sich ergeben muss. Neben einer Änderung der Lebensweise und einer konsequenten Behandlung bestehender Grunderkrankungen steht eine ganze Reihe von Hilfsmitteln zur Verfügung, die – kurzfristig oder länger angewendet – wieder „Freude in die Betten“ zurückbringt. Und dabei ist die Bandbreite der Wirkstoffe mittlerweile recht groß. Nicht jedes vermag jedoch effektiv zu helfen.

Yohimbin: Manneskraft aus der afrikanischen Savanne

Einheimische schätzen sie als Material für Stammesrituale – Naturheilkundler als echte Alternative zu den chemischen Keulen, die seit Ende der 1990er Jahre zigmillionenfach über die Ladentheke gehen: Die Rinde des Yohimbe-Baumes aus Westafrika. Der bis zu 30 Meter hohe Baum, der besonders in Kamerun reichlich anzutreffen ist, besitzt in seiner Rinde die natürliche Substanz Yohimbin – ein Molekül aus der Gruppe der Indolalkaloide. Auch in den Wurzeln einiger Schlangenwurz-Arten ist Yohimbin enthalten, wenn auch geringer dosiert. Potenzholz ist ein Synonym für den Yohimbe-Baum, dessen Wirkungen den afrikanischen Ureinwohnern wohl schon seit Jahrtausenden bekannt sind. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts brachten europäische Seeleute dasauffallend harte Holz in die„moderne Welt“.

Als Tablette oder Tee genossen, entfaltet Yohimbin eine ähnliche Wirkung, wie viele heute in Europa erhältlichen Potenzmittel. Das will heißen, Yohimbin steigert die Durchblutung im männlichen Geschlechtsorgan. Allerdings besitzt das natürliche Potenzmittel einen anderen Wirkungsmechanismus als beispielsweise der PDE-5-Hemmer Sildenafil. Yohimbin bindet sich sehr schnell und fest an sogenannte Alpha-2-Adrenorezeptoren. An diese Bindungsstellen im Nervensystem und den Gefäßen docken normalerweise die körpereigenen Stoffe Adrenalin und Noradrenalin an. Folge wäre eine Engstellung der Blutgefäße.

Yohimbin verhindert durch seine Bindung genau diese Interaktion zwischen Rezeptor und Botenstoff – er blockiert die Alpha-2-Adrenorezeptoren, ohne dabei die Gefäße zu verengen. Wissenschaftlich ausgedrückt fungiert Yohimbin demnach als Alpha-2-Adrenorezeptor-Antagonist. Die Blutgefäße bleiben länger und weiter offen, was zu einer Mehrdurchblutung des Penis und somit zu einer stärkeren Erektion führt. Problematisch ist die unberechenbare Wirksamkeit: Bei einigen Personen wird bis zu 80 % des Wirkstoffes resorbiert und damit dem Kreislauf zugeführt. Andere wiederum scheiden den Naturstoff beinahe komplett ungenutzt wieder aus. Hier kommt es auf den Versuch an.

Potenzmittel und Lustmacher?

In den Packungsbeilagen moderner synthetischer Potenzmittel steht für gewöhnlich der Hinweis: „Medikament wirkt nur bei ausreichender sexueller Erregung“. Yohimbin scheint hier die Eigenschaft zu haben, nicht nur erektionsfördernd, sondern auch aphrodisierend zu wirken. Zur molekularen Ursache dieser Eigenschaft fehlt allerdings noch die letzte wissenschaftliche Erklärung. Mögliche Erklärungsversuche:

Die Bindung von Yohimbin an Alpha-2-Adrenorezptoren im Gehirn wirkt luststeigernd (Rezeptoren wirken im Gehirn anders als in der Peripherie).
Yohimbin interagiert mit zahlreichen Serotonin-Rezeptoren.
Die Einnahme von Yohimbin führt plötzlich zur reichen Ausschüttung von Noradrenalin.

Vorsicht ist bei den Nebenwirkungen geboten: Yohimbin führt bei vielen Patienten zu Kopfschmerzen, verstärkter Reizbarkeit und Angstzuständen. Der Schlaf kann gestört sein und der Harndrang deutlich gesteigert. Außerdem kann es über neurophysiologische Mechanismen im Gehirn den Blutdruck und die Herzfrequenz steigern. Eine Überdosierung kann des Weiteren zu Missempfindungen, Gangunsicherheiten und Konzentrationsstörungen führen.

Als weitere Nebenwirkungen von Yohimbin können auftreten:

  • Schwindel
  • Appetitlosigkeit
  • Hautrötung
  • Schwitzen
  • Frieren
  • Zittern
  • Durchfall
  • Hypotonie
  • Brustschmerzen

Bis zur Einführung der PDE-5-Hemmer hatte Yohimbin durchaus eine gewisse Bedeutung in der Therapie von organischen und psychischen Erektionsstörungen – auch in Deutschland. Der entscheidende Unterschied zu modernen Präparaten ist die Tatsache, dass der potenzfördernde Effekt erst nach zwei bis drei Wochen eintritt und nicht sofort nach der ersten Einnahme. Wohlmöglich muss erst ein ausreichend hoher Plasmaspiegel im Blut aufgebaut werden, um eine effektive Wirkung zu erreichen. Wirksam ist übrigens nicht das eigentliche Yohimbin, sondern sein Abbauprodukt mit dem langen Namen 11-Hydroxy-Yohimbin.

Testosteron: Männlichkeit per Injektion

Ausdrücklich nicht für psychische Erektionsstörungen in Frage kommt eine Behandlung mit dem Hormon Testosteron. Das männliche Geschlechtshormon (das in einer geringeren Konzentration auch Frauen besitzen) sorgt für die typisch „männlichen“ Attribute: Körperbehaarung, tiefe Stimme, eine ausgeprägteMuskulatur. Und es ist beteiligt an der Libido, dem Verlangen nach Sex. Ein Testosteronmangel wird medizinisch als Hypogonadismus bezeichnet. Neben einem Mangel oder sogar einem völligen Verlust an sexueller Lust und Erektionsstörungen kommt es u. a. zu Symptomen wie:

  • Depressionen
  • Abnahme der Muskelmasse
  • Müdigkeit
  • Blutarmut
  • Haarausfall

Liegt der Erektionsstörung erwiesenermaßen ein Testosteronmangel zu Grunde, kann das Hormon durch Spritzen, Tabletten oder seltener durch Pflaster substituiert werden.Zu diesem Hormonmangel kann es beispielsweise in Folge einer Kastration kommen, die zur Krebstherapie bei hormonabhängig wachsenden Tumoren zwingend notwendig ist. Zu wenig Testosteron kann weiterhin bei einer Unterfunktion der Hirnanhangsdrüse oder einer Erkrankung bzw. dem angeborenen Fehlen eines Hoden vorhanden sein. Zwar ist Testosteron nicht direkt am physiologischen Erektionsprozess beteiligt, jedoch fehlt bei einem Mangel der entsprechende sexuelle Antrieb, der eine Erektion erst möglich macht. Zwischen 5 und 10 % der Erektionsstörungen beruhen auf einem Testosteronmangel. Wichtig: Diese Form der Therapie ist nur dann effektiv, wenn im Körper tatsächlich zu wenig Testosteron zirkuliert. Bei Personen mit normalen Werten kommt es zu keiner weiteren Steigerung der Erektionsfähigkeit, sehr wohl aber zu Nebenwirkungen.

Mittlerweile wieder vom Markt: Apomorphin

Apomorphin ist ein Emetikum, also ein Medikament, das bei akuten Vergiftungserscheinungen Erbrechen stimulieren soll. Es wirkt auf den Dopaminhaushalt bestimmter Hirnregionen und wird aktuell auch in der Therapie des Morbus Parkinson eingesetzt. Bei eben jener Behandlung mit dem Morphin-Abkömmling machten Mediziner seinerzeit eine erstaunliche Entdeckung: Apomorphin wirkt in geringen Dosen erektionsfördernd. Besonders über die Mundschleimhaut konnten durchaus beeindruckende Ergebnisse erzielt werden, sodass der Wirkstoff zwischen 2001 und 2005 als Lutschtablette in Deutschland erhältlich war – mit der Indikation „Erektile Dysfunktion“. Da es sich aber weder in Sachen Wirksamkeit noch Verkaufszahlen auch nur ansatzweise mit den damals gerade frisch auf dem deutschen Markt gebrachten PDE-5-Hemmern messen konnte, wurde es schließlich vom Markt genommen. Vom Wirkungsmechanismus unterscheidet sich Apomorphin signifikant von Vertretern wie Sildenafil: Es wirkt nicht direkt auf die Durchblutung der Geschlechtsorgane, sondern stimuliert die entsprechenden übergeordneten Hirnregionen. Als Parkinson-Medikament ist Apomorphin bis heute sehr erfolgreich.

Heute kaum noch notwendig: Die Schwellkörperinjektion

Ein Klassiker unter den potenzfördernden Maßnahmen war lange Jahre die Schwellkörperinjektion. Auch unter dem Namen Schwellkörper-Auto-Injektions-Therapie (SKAT) oder Penisspritze bekannt, wurde mittels Injektion der stark erektionsfördernde Arzneistoff Alprostadil in die Schwellkörper injiziert. Alprostadil entspricht der körpereigenen Verbindung Prostaglandin E1 – ein starker Vasodilatator. Dies bedeutet, das Medikament sorgt für eine sofortige Erweiterung der Blutgefäße mit der bekannten Wirkung auf die Erektionsfähigkeit. Zusätzlich entfaltet es die Wirkung eines Thrombozytenaggregationshemmers – es verhindert also die Blutgerinnung. Fazit: Alprostadil erweitert die Gefäße und sorgt auch dafür, dass das Blut schneller fließt.

Bei rund 80 % der Betroffenen zeigt eine solche Schwellkörperinjektion die gewünschte Wirkung. Wichtig ist dabei, die jeweils passende Dosierung zu ermitteln. Die Erektion hält etwa eine Stunde an. Das Verfahren bietet zahlreiche Risiken – so können Gefäße oder Nerven durch die Nadelstiche verletzt werden. Nicht zuletzt kommt es häufig zu Penisschmerzen. Diese Form der Therapie findet kaum noch Anwendung. Eine Weiterentwicklung dieser Methode stellt das seit 1999 in Deutschland zugelassene Mini-Zäpfchen MUSE (Medicated Urethral System for Erection) dar. Hierbei schiebt der Patient ein ca. 3 cm langes Röhrchen in die Harnröhre und drückt einen kleinen Knopf. Dadurch verbleibt der Wirkstoff in der Harnröhre und gelangt in die gewünschten Regionen. Auch diese Art der Behandlung ist heute kaum noch gebräuchlich.

Zahlreiche unwirksame Potenzmittel

  • Hartnäckig hält sich bis heute das Gerücht, Cantharidin – ein Wirkstoff aus einem Insekt namens Spanische Fliege – würde gegen Erektionsstörungen helfen. Die Verbindung ist stark giftig und wird deswegen nur stark verdünnt in Form homöopathische Produkte vertrieben. Auch gegen Warzen wird es vereinzelt eingesetzt. Eine Verbesserung der Erektionsfähigkeit bringt der Wirkstoff jedenfalls nicht.
  • Die wirksamen und effektiven PDE-5-Hemmer sind teuer und verschreibungspflichtig. Eine Übernahme durch die Krankenkassen ist in der Regel ausgeschlossen. Daher boomt gerade im heutigen Internetzeitalter der Markt an angeblich hochwirksamen Ersatzpräparaten und Generika. Zu letzterem sei klar zu sagen: Einzig von Sildenafil existieren seit Juni 2013 Generika, bei denen tatsächlich das drin ist, was draufsteht. Alle anderen PDE-5-Hemmer gibt es nur im Original. Vor Plagiaten ist eindringlich zu warnen. Ihre Verwendung ist nicht nur verboten und meistens wirkungslos, sie kann sogar lebensgefährlich sein.
  • Weniger bedenklich, aber in der Wirkung oftmals ebenfalls enttäuschend sind rezeptfreie Potenzmittel, die angeblich einen vergleichbaren Effekt erzielen sollen wie verschreibungspflichtige Potenzmittel. Vielfach angepriesen werden seit neuestem Präparate, die beim Mann die Potenz wiederherstellen und gleichzeitig lustlosen Frauen den Spaß am Sex zurückgeben, bei gleichzeitiger Rezeptfreiheit und guter Verträglichkeit. Leicht vorstellbar, dass hier der Nutzen gelinde gesagt „überschaubar“ bleibt.
  • Selbst durchblutungsfördernden Salben wird eine positive Wirkung auf die Potenz nachgesagt. Dabei fördern sie lediglich die Durchblutung der oberen Hautschichten, nicht der Schwellkörper. Der Nutzen für die Erektion ist gleich null. Dafür reizen die empfindlichen Schleimhäute und können sogar Kondome undicht machen.
  • Auch bestimmte Gewürze wie Pfeffer, Ginseng, Sellerie oder Petersilie helfen nicht. Immerhin, sie sind nicht schädlich

Beste Lösung: Der Gang zum Facharzt

Wer unter Erektionsstörungen leidet, sollte den Gang zum Facharzt nicht scheuen. Er kennt sich bestens mit der Problematik aus und kann – je nach Ursache – die richtigen Maßnahmen einleiten. Auch wer unter psychischem Druck leidet ist beim Urologen zunächst einmal gut aufgehoben. Oftmals genügen schon eine Untersuchung und ein fachmännisches Gespräch, um die Angst vor dem Versagen zu reduzieren. Auch bei rein psychischen Ursachen schadet es nicht, vorübergehend auf Potenzmittel umzusteigen. Erfolgserlebnisse sind das Effektivste im Kampf gegen psychisch bedingte Potenzstörungen.

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