Die westlichen Industrienationen haben der Menschheit nicht nur Gutes gebracht. Diese Binsenweisheit findet sich z. B. beim Blick auf die so genannten Zivilisationskrankheiten bestätigt. Sie verursachen neben dem persönlichen Leid Millardenbeträge an Kosten. Zu diesen Erkrankungen gehören die chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED) mit den beiden wichtigsten Vertretern Morbus Crohn und Colitis ulcerosa. Leider liegt bei den CED noch viel im Dunkeln, eine klare Sprache spricht aber die Statistik. Die Zahl der Betroffenen von chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen nahm nach dem 2. Weltrkrieg stark zu. Bei ungefähr 150.000 Patienten in Deutschland steht die Diagnose Colitis ulcerosa fest, die gleiche Zahl von Morbus Crohn-Erkrankten kommt dazu. Das entspricht ungefähr 4 Fällen auf 1.000 Einwohner. Männer und Frauen sind gleich betroffen; der Gipfel bei Neuerkrankungen liegt zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr. Die Dunkelziffer wird als erheblich geschätzt, da viele Patienten – z. B. wegen Beschwerden außerhalb des Darms - längere Zeit unentdeckt bzw. fehldiagnostiziert bleiben.
Ursachen rätselhaft
Trotz massiver Bemühungen – die chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen sind ein großes Forschungsfeld für die pharmazeutische Industrie – gibt es noch keine gesicherten Erkenntnisse über die Ursachen der CED. Dies spricht für eine multifaktorielle Genese. In Frage kommen unerwünschte Immunreaktionen innerhalb der Darmschleimhaut, eine genetische Veranlagung, Umweltfaktoren oder eine chronische Störung der Durchlässigkeit der Schleimhaut aufgrund einer Entzündung durch Bakterien. Allerdings reicht die Hypothese einer Infektion nicht aus, auch eine psychosomatische Reaktion wird heute weniger stark vermutet. Der Mangel an so genannten Defensinen - das sind lokal antimikrobiell wirkende Peptide - könnte ebenfalls eine Rolle spielen; Bakterien müssen keine Barriere überwinden. Eine familiäre Häufung scheint bewiesen, genetische Faktoren gehören sicher zum Ursachen-Mix.
Den Durchbruch hat es aber nicht gegeben, es existieren weiterhin nur Mosaiksteinchen zu einer Erklärung.
Symptome des Darms ...
Morbus Crohn und Colitis ulcerosa werden meist in einem Atemzug genannt, obschon sich ihre Beschwerden und Befunde, jedenfalls theoretisch, deutlich voneinander unterscheiden.
Ganz typisch ist der schubweise Verlauf. Die Colitis ulcerosa beginnt im Mastdarm und breitet sich in Richtung des Dickdarms aus. Sie bleibt darauf beschränkt, der Morbus Crohn kann den gesamten Magen-Darm-Trakt befallen. Auch bezogen auf die Wand des Darms zeigt sich der Befall mit Colitis ulcerosa etwas weniger umfassend: hier ist nur die Darmschleimhaut betroffen, beim Morbus Crohn die gesamte Darmwand.
Für den Patienten fast unerträglich sind die anhaltenden Durchfälle mit Blutauflagerungen und Koliken mit resultierender allgemeiner Schwächung des Körpers. Eine Colitis ulcerosa kann aber auch ziemlich mild verlaufen.
... und des Körpers
Über die Beschwerden des Darms hinaus können bei den chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CEDs) Symptome auch an anderen Körperregionen auftreten. Das wird zumeist auf Autoimmunreaktionen und/oder Folgen der chronischen Entzündung zurückgeführt. Bekannt sind Probleme der Haut (Erythema nodosum, Pyoderma gangraenosum) und der Augen (Uveitis). Aber auch die Gallengänge (primär sklerosierende Cholangitis) und die Bauchspeicheldrüse, das Pankreas können betroffen sein (biliäre Pankreatitis).
Am häufigsten allerdings können Gelenke und Knochen betroffen sein: sehr häufig Osteopenie (Verlust der Knochenmasse) und Osteoporose (Verschlechterung der Knochenstruktur), weniger häufig Arthralgie, Arthritis, Synovialitis und Spondylarthropathie.
Behandlung
Bei der Behandlung gibt es ebenso wenig Klarheit wie bei der Ursache. Verwendet werden je nach Stärke des Schubs und Aktivität verschiedene Mittel. Meist eingesetzt wird Mesalazin oder Sulfasalazin, dazu bei Bedarf kurzfristig Kortison. Bei längeren schweren Verläufen gibt man auch immunsupprimierende Mittel wie Azathioprin oder Methotrexat und Ciclosporin.
Zeigen diese Medikamente keine ausreichende Wirkung, besteht die Möglichkeit, mit so genannten Biologics zu behandeln. Diese Medikamente sind ähnlichaufgebaut wie körpereigene Stoffe, die an der Abwehrreaktion gegen Entzündungen beteiligt sind. Sie werden z. B. mehrmals - im Abstand von einigen Wochen - als Infusion gegeben. Häufig kommt die Entzündung zum Stillstand, Schäden an der Darmschleimhaut können abheilen. Manche Operationen und damit verbundene Krankenhausaufenthalte werden so verhindert.
Die Behandlung insbesondere mit letztgenannten Medikamenten sollte nur durch erfahrene Ärzte durchgeführt werden. OPs und Antibiotika gelten als unterlegene Verfahren.
In Einzelfällen konnten andere Methoden, auch der Komplementärmedizin, gute Ergebnisse zeigen. So scheint eine Umstimmung des Milieus im Darm mittels Bakterienkonzentrates manchmal günstig (schaden kann dieses Mittel nicht), auch eine Zufuhr des harmlosen Schweinepeitschenwurms (Trichuris suis) ist denkbar. Eine Psychotherapie unterstützt die Bewältigung des Krankheitsstresses.
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