Schon lange Zeit bevor die eigentliche Blutspende Einzug in die Medizin hielt galt der Aderlass als ein universelles Heilmittel gegen eine ganze Reihe von Erkrankungen. So gingen Mediziner bereits in der Antike davon aus, dass die regelmäßige Blutentnahme den Organismus entlasten und reinigen würde. Damals herrschte die Vermutung vor, das Blut wurde sich mit der Zeit in den Extremitäten stauen und schließlich verderben. Auch würde der Aderlass das gesamtkörperliche Gleichgewicht wiederherstellen. Im Mittelalter galt das kontrollierte Bluten ebenfalls als unbedingt notwendige medizinische Maßnahme, die es regelmäßig durchzuführen galt.
Blut wurde nicht nur als „Saft des Lebens“, sondern auch als Trägermedium sämtlicher Infektionen und Krankheiten vermutet. Dies führte nicht selten zu fatalen Irrtümern: Ende des Jahres 1799 erkrankte der erste US-Präsident George Washington an einer schweren Kehlkopfentzündung. Als Therapie führten seine Ärzte einen umfangreichen Aderlass durch; dem Staatsoberhaupt wurden 1,5 Liter Blut entnommen, um seinen Körper von den Krankheitserregern zu „reinigen“. Heutigen Vermutungen zufolge war es der große Blutverlust, an dem Washington kurze Zeit später verstarb.
Mittlerweile erlebt der Aderlass eine Art Renaissance. Häufig in Form einer Blutspende durchgeführt, zeigen einige Studien eine sehr große Wirksamkeit bei Bluthochdruck. Eine regelmäßige Blutentnahme von ca. 300 ml führte zu einer durchschnittlichen Absenkung des Blutdruckes um bis zu 16 mmHg.
Verringertes Volumen könnte Grund für Wirkung sein
Ein reiner Aderlass als Solches wird heute kaum noch durchgeführt – zumindest bisher. Glücklicherweise existieren aber in der neueren Zeit sehr viele Angebote zur Blutspende. Dabei wird dem Blutspender nach entsprechender Eignung (ausreichend hoher Hämoglobinwert und Ausschluss von Infektionen wie HIV und Hepatitis) eine Gesamtmenge von rund 400 – 500 ml Blut entnommen und weiterverwendet. In den meisten Fällen wird das Spenderblut für eine Transfusion genutzt. Es handelt sich also im Grunde genommen um einen klassischen Aderlass. Studien (u. a. der Berliner Charité) konnten nun an mehreren Probanden nachweisen, dass eine regelmäßige Blutentnahme nach einem Jahr zu einer Abnahme der durchschnittlichen Blutdruckwerte um 16 mmHG führte. Dieses Ergebnis übertraf in seinem Umfang sogar teilweise die ermittelten Effekte von klassischen Antihypertensiva (v. a. Betablocker und ACE-Hemmer).
Eine genaue wissenschaftliche Ursache für den grundsätzlich erfreulichen Effekt können die Forscher noch nicht geben. Als eine der möglichen Gründe für die Senkung der Blutdruckwerte gilt das durch die Blutspende bzw. den Aderlass geringere Volumen. Der gesamte Blutkreislauf ist ein in sich geschlossenes System, dadurch wirkt sich eine Volumenverminderung auch verringernd auf den Gesamtdruck aus. Auch muss das Herz durch das geringere Volumen weniger Druck aufbauen, um das Blut durch den Körper zu transportieren.
Eisenabnahme und Hormone steuern Effekte bei
Durch eine Blutspende verringert sich natürlich auch der Gesamtgehalt an Eisen im Kreislaufsystem. Eisen ist als zentrales Ion im Hämoglobinmolekül essentiell für den Sauerstofftransport durch den gesamten Körper hin zu den verschiedenen Gewebearten. Im Blut selber wird Eisen an das Protein Ferritin gebunden transportiert. Eisen fördert dabei die Oxidation bzw. Bildung von sehr reaktiven Oxidantien, welche die Gefäßwände angreifen und nachhaltig schädigen können. Der Effekt ähnelt dem der Arteriosklerose: Die Gefäßwand verliert an Elastizität und wird dadurch weniger flexibel. Dies steigert den Blutdruck, da sich die Blutgefäße nicht mehr so leicht an eine höhere Pumpleistung des Herzens bzw. ein höheres Volumen anpassen können. Im Umkehrschluss bedeutet das: Der Aderlass bewirkt einen niedrigeren Eisenspiegel, der oxidative Stress für die Gefäße nimmt ab und die Gefäße behalten mehr Elastizität, was wiederum den Blutdruck niedrig hält.
Eine weitere Theorie für den antihypertensiven Effekt einer Blutspende liegt in der Entfernung bzw. Verringerung von hyperton wirkenden Hormonen und Metaboliten. So kann beispielsweise der Gehalt an blutdrucksteigernden, im Blut zirkulierenden Adrenalin durch den Aderlass deutlich verringert werden.
Bereits seit vielen Jahren beobachten Mediziner einen offenbar gesundheitsfördernden Effekt durch eine regelmäßige Blutspende. Menschen, die sich regelmäßig dem Aderlass unterziehen, leiden seltener an Erkrankungen wie Herzinfarkt, Schlaganfall oder Angina pectoris.
Keinesfalls sollten Bluthochdruckpatienten allerdings die bisher ärztlich verordnete Medikation zu Gunsten einer regelmäßigen Blutspende vernachlässigen. Auch wenn der blutdrucksenkende Effekt einer regelmäßigen Blutentnahme als sicher gilt, fehlen noch umfassende klinische Studien, um diese Maßnahme als offizielle Therapieoption gegen Bluthochdruck zuzulassen. Und doch: Eine regelmäßige Blutspende scheint tatsächlich einen lebensverlängernden Effekt zu haben, so wie es sich derzeit darstellt sowohl für den Empfänger als auch für den Spender.
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