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Drogen-Substitution: Legaler Drogenkonsum
Drogen-Substitution: Legaler Drogenkonsum Atstock Productions / shutterstock.com

Drogen-Substitution: Legaler Drogenkonsum

"Legale Drogen" oder Rückweg ins Leben: Drogensubstitution Drogen auf Rezept?

Im ersten Halbjahr 2005 verstarben 562 Personen an den Folgen ihres Rauschgiftkonsums. In diesem Zeitraum wurden in Deutschland 334 kg Heroin beschlagnahmt. Dies geht aus der "Halbjahreskurzlage Rauschgift 2005" des Bundeskriminalamtes hervor. Grund genug, um neue Konzepte zu etablieren, die den Suchtkranken helfen, aus dem Teufelskreis "Sucht" auszubrechen.

Im Bella-Vista-Haus, das idyllisch am Ortsrand von Hamburg-Bargfeld liegt, wurden bereits über 9.000 Drogenabhängige behandelt. "In der Suchtarbeit sind Erfolge relativ", sagt Therapieleiter Friedemann Hauck. "Ein Drittel schafft es, ein Drittel wird rückfällig, die anderen kommen nie ohne harte Drogen aus", so Hauck gegenüber dem Hamburger Abendblatt. Die 21tägige Entgiftung kostet knapp 5.400 Euro. Doch die Kürzungen im Gesundheitsbereich sind spürbar. Das unter der Geldknappheit die Betroffenen leiden müssen, ist ein unhaltbarer Zustand: "Süchtigsein ist eine Erkrankung und keine Charakterschwäche", so Hauck.Seine Einrichtung ist eine von 450 Ambulanzen für Drogenabhängige. 11.000 Entzugs- und 50.000 Substitutionsplätze "warten" in Deutschland auf entzugswillige Drogensüchtige. Therapiebedürftig sind aber offenbar weit über 150.000 Deutsche.

Am 25. Juni billigte das Bundeskabinett den "Aktionsplan", mit dem sich deutsche Drogenprobleme "nachhaltig reduzieren" lassen sollen. Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marion Caspers-Merk, 48, fördert die rund 20 deutschen Fixerstuben, sie ließ rechtliche Hürden bei der Methadon-Substitution ausräumen, und sie lässt testen, ob es in Zukunft Heroin auf Rezept geben könnte: In sieben deutschen Städten spritzen derzeit 560 Junkies unter ärztlicher Aufsicht dreimal täglich bis zu 400 Milligramm reines, synthetisch hergestelltes Heroin. In den letzten Jahren haben neue Erkenntnisse über die "Physiologie der Sucht" dazu geführt, innovative Entzugstherapien zu testen.

So definiert die Weltgesundheitsorganisation Sucht:
Zustand  periodischer oder chronischer Vergiftung, schädlich für den einzelnen und/oder die Gesellschaft, der durch den wiederholten Genuss einer natürlichen oder synthetischen Substanz hervorgerufen wird.

Drogen auf Rezept?

Im Jahr 2004 erhielten in Deutschland ca. 64.000 opioidabhängige Personen das Mittel Methadon zur Substitution. Oberstes Ziel einer Substitutionsbehandlung ist die Suchtmittelfreiheit. Im Rahmen von umfassenden Therapiekonzepten arbeiten Ärzte, Psychologen, Soziologen und Sozialarbeiter eng miteinander zusammen. Bei der Substitutionsbehandlung bekommen die Suchtkranken vom Arzt ein Medikament verabreicht, das ihre Entzugserscheinungen lindert. Sie sollen so in ein "normales" Leben zurückfinden. Diese Therapie vermindert die Kriminalitätsrate, die Sterblichkeit sowie die Begleiterkrankungen und ermöglicht eine enge therapeutische Anbindung. Langfristig soll der Patient motiviert werden, nach einer weiterführenden Suchttherapie ganz ohne seine Droge zu leben. Die Zeiten, als man glaubte, Trinker und andere Süchtige müssten erst "ganz unten" sein, bevor sie genug Eigeninitiative für einen Erfolg versprechenden Ausstiegsversuch aufbringen, sind vorbei. Sucht wird heute als eine Krankheit der Rückfälle angesehen. Das erreichen von motivierenden Zwischenzielen ist sinnvoller, als beim Süchtigen von Anfang an totale Abstinenz einzufordern.

In Deutschland werden vier Opiate/ Opioide zur Substitutionstherapie eingesetzt:

  • Methadon
  • L-Polamidon
  • Heroin (befindet sich in Deutschland noch in der Zulassung)
  • Buprenorphin

Methadon? der Klassiker

Im Gegensatz zu den Opiaten Morphin und Heroin wird Methadon gut vom Körper aufgenommen, wenn es als Lösung getrunken oder als Tabletten geschluckt wird. Opiate wirken im Gehirn im Belohnungszentrum. In dieser Schaltstelle werden Euphorie, Sucht aber auch depressive Gefühle verarbeitet. Körpereigene Neurotransmitter wie Dopamin und die Endorphine (körpereigene Morphine) agieren als Überträgersubstanzen. Unterschiedliche Bindungsstellen, so genannte Rezeptoren, lösen unterschiedliche Reaktionen aus, wenn Opiate dort andocken. Morphin, Heroin und Methadon wirken auf die gleichen Rezeptoren. Kurzfristig wird beim Konsumenten ein Glücksgefühl hervorgerufen. Er fühlt sich wohl, beschützt, hat gute Laune und keine Schmerzen. Bei einer längerfristigen Anwendung von Rauschdrogen lässt die Wirkung nach. Die Euphorie weicht der Depression. Auch die Ersatzdroge Methadon trübt die Psyche der Konsumenten. Sie haben weniger Antrieb und kriegen ihr Leben "weniger geregelt". Von Vorteil ist, dass die Suchtkranken keinen "Heroinhunger" mehr verspüren.

Unerwünschte Wirkungen von Methadon

  • Verstopfung
  • Pupillenverengung
  • Übelkeit
  • Schweißausbrüche
  • Störungen des Schlafmusters

Methadon unterdrückt sowohl unangenehme als auch besonders angenehme Gefühle: Es kappt die Gefühlsspitzen und der Konsument hat das Gefühl, in einem "wattigen Gefühlspanzer" zu stecken. Einige Konsumenten fühlen sich mit der gedämpften Wahrnehmung ihrer Umwelt wohl. Viele beklagen aber auch die fehlende geistige Klarheit. Sie leben zwar, sind aber nicht in der Lage, Zukunftspläne zu machen oder einfache Aufgaben des täglichen Lebens zu meistern.

Buprenorphin: Klarheit für die Sinne?

Buprenorphin wurde als Schmerzmittel (Temgesic ®) entwickelt und ist seit Februar 2000 auch zur Heroin-Substitution als Subutex ® zugelassen. In Frankreich ist Buprenorphin nicht als Betäubungsmittel eingestuft und kann dort auf immense Erfahrungen verweisen. Buprenorphin wirkt nicht, wie Methadon, an allen Opiatrezeptoren anregend. Es greift an den Bindungsstellen anregend an, die eine Euphorie auslösen und hemmt jene, die depressiv machen. Außerdem kann es die Wirkung von anderen Opiaten vermindern. Dadurch wird der "Beigebrauch" anderer Opiate vermindert. Der Arzneistoff denkt quasi mit: wird er höher dosiert, steigt die Wirkung nicht weiter an. Die bei Opiaten sonst gefürchtete Atembehinderung ist deshalb nicht vorhanden. Auch deshalb ist dieser Wirkstoff für den Anwender sicherer. Bezogen auf die Sterblichkeitsrate ist Methadon zehnmal so gefährlich wie Buprenorphin.

Ein entscheidender Vorteil gegenüber Methadon ist die geistige Klarheit, die der Anwender empfindet. Nach einer Studie zur Fahrtauglichkeit schnitt Buprenorphin deutlich besser als Methadon ab. Die Probanden zeigten eine bessere Konzentrationsfähigkeit, ein gleichmäßigeres Leistungsniveau und geringere Ermüdungserscheinungen. Dies macht Buprenorphin besonders für Abhängige mit guter Sozialprognose geeignet. Ein Arzneimittel ist aber nur so sicher, wie sein Anwender vernünftig ist. In letzter Zeit wurde vermehrt darüber berichtet, dass Konsumenten Buprenorphin in die Nase schniefen oder in die Vene oder unter die Haut spritzen. Sie erhoffen sich so den vom Heroin bekannten "Kick". Der Hersteller wird deshalb voraussichtlich im kommenden Jahr eine Weiterentwicklung (Suboxone ®) auf den Markt bringen. Neben Buprenorphin wird ein Stoff enthalten sein, der einen Missbrauch nahezu unmöglich macht. Das beigefügte Naloxon hat bei der üblichen Verabreichung über den Mund keine Wirkung. Erst wenn der Konsument die Mischung missbräuchlich spritzt, hebt Naloxon die Wirkung des Opiates auf.

Heroin: Außenseiter oder Held?

Viele entzugswillige Patienten wollen/können auf Flash-Erlebnisse nicht verzichten. Um solche Patienten in die Substitutionstherapie aufzunehmen und halten zu können, wird die Verschreibung von Heroin erprobt. Die vor drei Jahren in sieben deutschen Städten begonnene Heroin-Studie steht offenbar vor dem Abschluss. Wie das Nachrichtenmagazin "Focus" berichtet, zeigt sie, dass Suchtkranke, die den Stoff auf Rezept erhalten, gesünder leben und weniger Verbrechen begehen. 
Für Patienten, die mit Methadon und anderen Methoden scheitern, ist die Heroinverschreibung oft dieletzte Chance Die meisten Erfahrungen liegen in England, der Schweiz und den Niederlanden vor. Auch in Deutschland laufen Modellprojekte. Der Suchtbeauftragte der Bundesärztekammer, Ingo Flenker, geht davon aus, dass "zwischen 4 000 und 6 000 Betroffene" für eine staatliche Heroinbehandlung in Frage kämen, wenn Heroin als Fertigarzneimittel zugelassen würde.

Nachdem sich auf dem Gebiet der Substitutionsmittel lange Zeit nichts getan hat, kommt nun mit neuen Substanzen und Konzepten frischer Wind in die Drogentherapie. Man wünscht den Suchtkranken, dass er sie in ein Leben "bläst", das sie sich wünschen.

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