Vorzeitiger Samenerguss (Ejaculatio praecox)
Es ist die häufigste Sexualstörung des Mannes, weit vor der erektilen Dysfunktion und der Impotenz. Ein vorzeitiger Samenerguss, wissenschaftlich Ejaculatio praecox genannt, führt nicht selten zu einer starken Verunsicherung beider Partner und kann längerfristig sogar das Sexualleben als Ganzes gefährden. Seit der Einführung von Wirkstoffen wie Sildenafil sind Erektionsstörungen kein Tabuthema mehr, weder in Beziehungen noch in der Gesellschaft. Anders ist dies beim vorzeitigen Samenerguss: Bis heute wird dieses Thema als Tabu behandelt – mit negativen Folgen für die Betroffenen.
Aus Scharm meiden viele Männer den Weg zum Facharzt – wohl auch, weil bisher seitens der Wissenschaft und den Medien wenig über mögliche Therapieansätze publiziert wurde. Vielmehr treten die Betroffenen den Rückzug an, vermeiden sexuelle Nähe zunehmend bis sie aus lauter Unsicherheit dem Thema Geschlechtsverkehr vollends den Rücken kehren. Dabei existiert bereits seit dem Jahr 2009 eine effektive Therapie. Dapoxetin – vom Wirkungsmechanismus einem modernen Antidepressivum ähnlich – ist das erste speziell für die Therapie des vorzeitigen Samenergusses zugelassene Medikament in Deutschland. Die Wirkung ist mitunter eindrucksvoll.
Fast jeder dritte Mann ist betroffen
Da es sich wie erwähnt um eine Art Tabuthema handelt, sind genaue Fallzahlen kaum möglich. Schätzungen gehen aber davon aus, dass bis zu 30 Prozent der Männer in Deutschland mehr oder weniger stark von dem Phänomen vorzeitiger Samenerguss betroffen sind. Genau genommen handelt es sich hierbei nicht um eine Krankheit im eigentlichen Sinne, es ist das Symptom einer Sexualstörung (sexuelle Dysfunktion). Hauptproblem hierbei ist das zu schnelle Erlangen des sexuellen Höhepunktes beim Mann und die damit einhergehende Ejakulation.
Für sich genommen stellt dies noch nicht die Hauptproblematik dar: Erschwerend und für den Betroffenen oftmals frustrierend ist vielmehr die Tatsache, dass der Mann nach dem Orgasmus in die sog. Refraktärphase gelangt. Dies bedeutet, dass für einige Zeit eine Reizunempfindlichkeit auf sexuelle Signale hin besteht. Die Erektion lässt sofort nach und der Mann ist für eine – je nach Individuum unterschiedlich lange – Zeit nicht mehr zum Geschlechtsverkehr fähig.
Serotonin verzögert Ejakulation
Der männliche Orgasmus mit dem Samenerguss beruht auf sehr komplexen Interaktionen zwischen Gehirn, Rückenmark und Geschlechtsorgan. Wie bei jeder Funktion des Nervensystems sind auch hier diverse Botenstoffe (Neurotransmitter) am Geschehen beteiligt. Während Dopamin v. a. nach dem Sex unser „Belohnungszentrum“ im Gehirn aktiviert, sorgt Serotonin für eine Verzögerung der Ejakulation – der gewünschte Effekt für Männer, die unter dem vorzeitigen Samenerguss leiden. Serotonin ist insbesondere als „Glückshormon“ bekannt und ein Mangel dieser Substanz wird beispielsweise für die Entstehung einer Depression verantwortlich gemacht. Auf den Geschlechtsakt bezogen bedeutet dies: Serotonin sorgt für lustvollen und gleichzeitig längeren Sex.
Genau an dieser Stelle greift der Wirkstoff Dapoxetin ein. Vom Wirkungsmechanismus entspricht das Arzneimittel einem modernen Antidepressivum vom Typ der Selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI). Diese Medikamente waren es auch, die die Wissenschaft auf diesen Ansatzpunkt gebracht haben: Viele depressive Patienten die mit SSRI behandelt wurden, berichteten kurze Zeit nach Therapiebeginn von einem deutlich später eintretendem Samenerguss sowohl beim Geschlechtsverkehr als auch bei der Selbstbefriedigung.
Dapoxetin verlängert Zeit bis zum Orgasmus
Serotonin ist an den Synapsen für die Übertragung von Signalen verantwortlich.Zu diesem Zweck wird es aus dem Endkopf einer Nervenzelle (Präsynapse) ausgeschüttet und wandert durch den sog. synaptischen Spalt zur nachgeschalteten Zelle (Postsynapse). Dort bindet der Neurotransmitter an bestimmte Rezeptoren und vermittelt so die Erregungsweiterleitung an die nächste Nervenzelle. Im Anschluss an die Aktion löst sich das Serotonin von den Rezeptoren und wird über bestimmte Transportmoleküle wieder zurück in die erste Nervenzelle transportiert. Für eine erneute Transaktion steht es zunächst einmal nicht mehr zur Verfügung.
Hier greift Dapoxetin ein: Es blockiert die Transporter, sodass keine Bindung durch Serotonin mehr möglich ist. Ein Rücktransport in die Zelle unterbleibt somit. Direkte Folge hiervon ist: Der Spiegel an freiem (nicht in der Zelle befindlichem) Serotonin im Nervenwasser steigt an. Nur dort ist es wirksam, in der Zelle kann Serotonin keinen Effekt entfalten. Durch die Anreicherung von Serotonin kommt dessen, den Orgasmus verzögernde Wirkung zum Tragen und der vorzeitige Samenerguss kann zumindest teilweise vermieden werden.
Zufriedenheit beim Sex erhöht sich
Den vorzeitigen Samenerguss definieren Wissenschaftler als Zustand, indem die Ejakulation innerhalb einer Minute nach vaginaler Penetration oder im Extremfall bereits vorher stattfindet. Bereits seit längerem bekannt war hier der Effekt von SSRI, so galt lange Zeit eine Tablette Fluoxetin vor dem Akt als das Mittel der Wahl. Kombiniert mit einem Tropfen des Lokalanästhetikums Lidocain auf der Penisspitze konnte auch hier bereits eine Besserung des unangenehmen Problems erzielt werden. Dennoch: Das Verhältnis aus Wirkung und Nebenwirkungen ist bei Dapoxetin wesentlich günstiger. Im Gegensatz zur Therapie einer Depression wird das Arzneimittel hier nicht regelmäßig, sondern ca. ein bis drei Stunden vor dem erwarteten Geschlechtsverkehr eingenommen. Mehr als eine Filmtablette täglich sollte nicht aufgenommen werden.
Die Einnahme erfolgt unabhängig von den Mahlzeiten, Dapoxetin führt auch nach einer ausgiebigen Ration zum Erfolg. Bei anderen, den Sex betreffenden Wirkstoffen, ist dies anders: So kann eine fettreiche Mahlzeit die Wirkung von Sildenafil deutlich abschwächen. Vorsicht ist geboten, wenn bereits ein anderes Antidepressivum eingenommen wird, hier kann es zu unerwarteten Wechselwirkungen kommen. Insbesondere weitere SSRI oder MAO-Hemmer sind ein Ausschlusskriterium. Grundsätzlich sind alle Medikamente problematisch, die einen Einfluss auf den Serotoninhaushalt haben. Gerade bei ersteren kann eine Langzeittherapie (beispielsweise bei Depressionen) für sich alleine aber schon einen ausreichend positiven Effekt auf den vorzeitigen Samenerguss haben.
Hoffnung für Betroffene
Dapoxetin hat durchaus das Potenzial, nach Einführung der Potenzmittel eine erneute sexuelle Revolution auszulösen. Viele verzweifelte Männer griffen bisher zum Alkohol in der fadenscheinigen Hoffnung, dies könne etwas an dem Problem ändern. Selbstverständlich ist das Gegenteil der Fall. Und während bei einer psychologisch bedingten Impotenz eine Gesprächstherapie großen Erfolg bringen kann, waren derlei Versuche beim vorzeitigen Samenerguss kaum hilfreich. Dapoxetin scheint hier einen Durchbruch in der Therapie herbeigeführt zu haben.
Rund acht Jahre auf dem Markt kann es langfristig dazu beitragen, dass das Problem vorzeitiger Samenerguss bald genauso offen von der Gesellschaft thematisiert wird, wie dies bei Erektionsstörungen heute der Fall ist. Studien des österreichischen Urologen Andreas Jungwirth zeigten, dass sich die Zeit zwischen der Penetration und dem Orgasmus bei über 70 Prozent der Männer teilweise um das Dreifache verlängerte. Waren es bisher 20 Sekunden, so konnten manche Männer diese Zeit um bis zu fünf Minuten steigern. „Für die Patienten sind das Lichtjahre“, so Jungwirth.
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